Gnadengesuch, Gnadenantrag - Hilfe nach Verurteilung

Eine rechtskräftig verhängte Strafe kann grundsätzlich nicht mehr aufgehoben oder abgeändert werden. Dies ist für einen Betroffenen unter Umständen nicht nachvollziehbar - insbesondere, wenn er das Urteil für falsch hält oder wenn bestimmte Umstände der (weiteren) Vollstreckung einer Strafe entgegen stehen. In einem solchen Fall kann es sinnvoll sein, ein Gnadengesuch bzw. einen Gnadenantrag zu stellen. Im Folgenden beantwortet Rechtsanwalt Dietrich die wichtigsten Fragen im Zusammenhang mit einem Gnadengesuch.

Was ist das Ziel eines Gnadengesuchs / Gnadenantrags?

Durch eine erfolgreiche Begnadigung wird eine rechtskräftig verhängte Strafe teilweise oder vollständig aufgehoben oder umgewandelt. Wichtig hierbei ist, dass dem Ziel des Gnadengesuchs / Gnadenantrags nicht aufgrund anderer gesetzlicher Bestimmungen entsprochen werden kann. Sollte z. B. die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung gemäß § 57 StGB oder eine Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG in Betracht kommen, wäre das Gnadenverfahren nicht das zulässige Rechtsmittel. Vielmehr sind in diesem Falle zunächst die vom Gesetz vorgesehenen spezielleren Anträge zu stellen.

Warum gibt es die Begnadigung?

Unter Umständen konnten bei einer strafgerichtlichen Entscheidung bestimmte Härten und Unbilligkeiten nicht berücksichtigt werden.

Zu unbeabsichtigten Härten und Unbilligkeiten kann es zunächst dadurch kommen, dass der Richter an das Gesetz gebunden ist. Sollte das Gesetz eine bestimmte Entscheidung vorschreiben, kann sich der Richter grundsätzlich nicht über diese Vorgabe hinwegsetzen.

Desweiteren können bei einer gerichtlichen Entscheidung nur Umstände bis zur Verkündung des Urteils berücksichtigt werden. Nachträglich eingetretene Veränderungen können sich aus nachvollziehbaren Gründen in der Entscheidung nicht wiederfinden.

Durch das Gnadenrecht soll eine individuell gerechte Entscheidung durch Ausgleich und Kompensation von Härten und Unbilligkeiten herbeigeführt werden.

Gibt es einen Anspruch auf Gnade?

Das Bundesverfassungsgerichts hat im Jahre 1969 entschieden, dass der Betroffene keinen Anspruch auf gerichtliche Nachprüfung einer Gnadenentscheidung hat. Bei seiner Entscheidung steht der Gnadenstelle vielmehr ein rechtlich nicht geregeltes Ermessen zu, welches durch Gerichte nicht überprüft werden kann.

Daraus folgt, dass der Betroffene lediglich das Recht hat, ein Gnadengesuch zu stellen, über das dann durch die zuständige Stelle entschieden werden muss. Da die Entscheidung vom Wohlwollen der Gnadenstelle abhängig ist, spricht man auch davon, dass man Gnade vor Recht ergehen lässt.

Gründe für ein Gnadengesuch / Gnadenantrag?

Da es immer auf den Einzelfall ankommt, ist es schwierig, umfassend darzustellen, welche Gründe regelmäßig für eine Begnadigung sprechen.

Zunächst können immer Einschnitte in stabile soziale und berufliche Strukturen eine Begnadigung rechtfertigen, wenn die Einschnitte mit dem Strafzweck als solches nicht zu vereinbaren wären. Hierunter fällt unter Umständen z. B. die eigene sehr erhebliche Erkrankung. Weiterhin spricht für eine Begnadigung, wenn sich der Betroffene um kranke Familienangehörige wie z. B. Eltern oder Kinder kümmert und eine anderweitige Betreuung nicht gewährleistet werden kann. Auch der Verlust eines Arbeitsplatzes kann für einen Gnadengesuch / Gnadenantrag von Relevanz sein.

In der Praxis kommt es regelmäßig auch vor, dass ein Betroffener mehrere Straftaten begangen hat, wobei lediglich ein Teil der Straftaten auf eine Betäubungsmittelabhängigkeit zurückzuführen ist. Die Vollstreckung von Straftaten, die aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen worden sind, kann zurückgestellt werden, wenn sich der Betroffene einer Therapie gemäß § 35 BtMG unterzieht (Therapie statt Strafe). Dies ist aber nur möglich, wenn alle zu vollstreckenden Strafen ihre Ursache in der Betäubungsmittelabhängigkeit haben. Wenn nun auch eine Strafe zu vollstrecken ist, die nicht im Zusammenhang mit der Betäubungsmittelabhängigkeit steht, kann es sinnvoll sein, für diese Strafe ein Gnadengesuch zustellen.

Bei Gnadenentscheidungen wird regelmäßig das Verhalten und die Einstellung des Betroffenen zu seiner Tat - z. B. Reue und Schadenswiedergutmachung - und ein etwaiges Vollzugsverhalten berücksichtigt.

Hinweisen möchte ich aber nochmals darauf, dass keiner der vorstehenden Gründe zwangsläufig zu einer Begnadigung führt. Es verbleibt immer bei einer freien Entscheidung der zuständigen Gnadenstelle.

Wer ist für das Gnadenverfahren zuständig?

Die Zuständigkeit eines Gnadenverfahrens richtet sich in der Regel danach, ob ein Bundesgericht (z. B. der Bundesgerichtshof oder das Bundesverfassungsgericht) oder ein Landesgericht (Amtsgericht, Landgericht oder Oberlandesgericht) in der ersten Instanz entschieden hat. In Berlin heißt das Oberlandesgericht Kammergericht.

Im Falle einer Entscheidung durch ein Bundesgericht ist der Bundespräsident für die Begnadigung zuständig.

Anderenfalls - und das ist die Regel - ist grundsätzlich eine Landesbehörde, in Berlin die Senatsverwaltung für Justiz, zuständig. Sollte ein Oberlandesgericht in Ausübung von Gerichtsbarkeit des Bundes erstinstanzlich entschieden haben, ist hiervon abweichend wieder der Bundespräsident für die Gnadenentscheidung zuständig.

Wonach richtet sich das Gnadenverfahren?

Obwohl kein Anspruch auf Begnadigung besteht, haben der Bund und die Bundesländer jeweils eigene Gnadenordnungen erlassen.

Die Gnadenordnung des Bundes kann man hier nachlesen.

Wie läuft das Gnadenverfahren ab?

Wie bereits mitgeteilt, haben der Bund und die Bundesländer jeweils eigene Gnadenordnungen, welche das Verfahren regeln. Nachfolgende Ausführungen beschränken sich deshalb auf Gnadenentscheidungen in Berlin. Die Gnadenordnungen der anderen Bundesländer sind aber ähnlich aufgebaut.

In Berlin ist das Verfahren in der Gnadenordnung vom 29. Mai 2009 (GnO) geregelt.

Nach § 3 GnO muss das Gnadengesuch schriftlich bei der Vollstreckungsbehörde (regelmäßig die Staatsanwaltschaft) oder der Senatsverwaltung für Justiz eingereicht werden. Ein Gnadengesuch kann unmittelbar durch den Betroffenen gestellt werden. Aber auch Dritte können ein Gnadengesuch einreichen. In diesem Fall wird die Gnadenstelle regelmäßig den Betroffenen befragen, ob er dem Gnadengesuch des Dritten beitritt.

Darüber hinaus ist aber auch die Senatsverwaltung für Justiz befugt, ein Gnadenverfahren von Amts wegen - dies heißt, ohne Antrag des Betroffenen oder eines Dritten - einzuleiten. Dies ist in der Praxis aber eher unüblich.

Nach § 5 Abs 1 GnO hemmt das erste Gnadengesuch die Vollstreckung.

Dies gilt nach § 5 Abs. 2 GnO nicht, wenn

  1. das Gesuch nicht mit Gründen versehen ist,
  2. sich die verurteilte Person im Freiheitsentzug, auch in anderer Sache, befindet,
  3. das Gesuch während einer Strafunterbrechung, während oder nach Ablauf eines Strafaufschubes gestellt wird,
  4. die verurteilte Person flüchtig oder fluchtverdächtig ist oder sich verborgen hält,
  5. seit Zustellung der Ladung zum Strafantritt ein Monat vergangen ist,
  6. das Gnadengesuch sich auf Ordnungs- oder Zwangsmittel bezieht.

Auch wenn die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 GnO vorliegen, kann die Senatsverwaltung die Vollstreckung vorläufig einstellen, wenn Anlass zu der Annahme besteht, dass das Gnadengesuch Erfolg haben könnte.

Die Senatsverwaltung kann aber auch die sofortige Vollstreckung im Falle des § 5 Abs. 1 GnO ausnahmsweise ausdrücklich anordnen, wenn das Gnadengesuch offensichtlich unbegründet ist oder die sofortige Vollstreckung im öffentlichen Interesse liegt.

Häufig sind Mandanten von der Ladung zum Haftantritt überrascht. Sie hatten noch nicht die Möglichkeit, sich auf eine Haftstrafe hinreichend vorzubereiten. Der Betroffene hatte noch nicht genügend Zeit, seine persönlichen Dinge zu klären. Hierzu zählen insbesondere die Fragen, wer sich um Familienangehörige, die Wohnung oder den Garten kümmern und wer etwaige Tiere versorgen soll. Es stellt sich hierbei regelmäßig die Frage, ob eine Wohnung gekündigt oder doch versucht werden sollte, sie während der Haftzeit zu behalten. Wenn die Wohnung gekündigt werden soll, muss organisiert werden, wo die persönlichen Sachen untergestellt werden.

Neben diesen Fragen kommt es regelmäßig vor, dass ein Betroffener insbesondere vor einer längeren Haftstrafe nochmals verreisen möchte, die Ladung zum Haftantritt diesem Urlaub aber im Wege steht.

In all diesen Situationen kann es sinnvoll sein, ein hinreichend begründetes Gnadengesuch einzureichen. In diesem Gnadengesuch muss ausführlich die persönliche Lebenssituation dargestellt werden. Die beschriebenen Gründe für das Gnadengesuch werden in der Regel nicht zu einem vollständigen Erlass einer rechtskräftigen Strafe aber gegebenenfalls zu einem "Strafaufschub" führen.

Auch wenn das Gnadengesuch letztlich durch die Gnadenstelle abgelehnt werden sollte, erreicht man durch die Hemmung der Vollstreckung gemäß § 5 Abs. 2 GnO regelmäßig einen "Strafaufschub" von 2 bis 6 Monaten. Diese Zeit kann genutzt dafür werden, sich auf die bevorstehende Haft vorzubereiten.

Nach Eingang eines Gnadengesuchs werden Stellungnahmen der Vollstreckungsbehörde, der Vollzugsanstalt und der mit der Strafsache bereits befassten Gerichte eingeholt. Darüber hinaus können nach pflichtgemäßen Ermessen weitere Stellen angehört werden. Hierzu zählen insbesondere die Bewährungshilfe, die Gerichtshilfe, die Führungsaufsichtsstelle und die Jugendgerichtshilfe.

Die Stellungnahmen sollen sich insbesondere auf die Persönlichkeit des Betroffenen, das Vollzugsverhalten, die Auseinandersetzung mit der Tat, die Lebensverhältnisse in Freiheit (z. B. Bezugspersonen, Unterkunft, Arbeitsmöglichkeiten), die Wirkungen, die von der begehrten Entscheidung zu erwarten sind und auf weitere Straftaten beziehen.

Eine Gnadenentscheidung kann nachträglich auch widerrufen werden. Ein Widerruf kommt insbesondere in Betracht, wenn der Betroffene erteilten Weisungen und Auflagen nicht nachkommt oder bis zum Ablauf einer Bewährungszeit erneut verurteilt wird.

Im Gegensatz zu einer ursprünglich ablehnenden Gnadenentscheidung ist der Widerruf der Gnadenentscheidung gemäß § 2 Abs. 2 GnO mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 EGGVG überprüfbar.

Vordrucke / Vorlagen / Muster?

Da sich aufgrund der in Deutschland bestehenden Gewaltenteilung die Gnadenstellen nicht über jede Gerichtsentscheidung hinwegsetzen, besteht in der Praxis eine nicht sehr hohe Erfolgsaussicht eines Gnadengesuchs. Deshalb kann ich von der Verwendung von Vordrucken, Vorlagen oder Mustern nur abraten.

Jeder Fall hat seine individuellen Besonderheiten, welche auch im Gnadengesuch zum Ausdruck gebracht werden sollten. Das erste hinreichend begründete Gnadengesuch hat besondere Vergünstigungen, wie z. B. die Hemmung der Vollstreckung.

Deshalb empfehle ich, sich von Anfang an im Begnadigungsverfahren durch einen im Begnadigungsrecht vertrauten Rechtsanwalt vertreten zu lassen.

Beteiligung eines Rechtsanwalts

Der Betroffene kann sich im Begnadigungsverfahren durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen. Ein im Begnadigungsrecht erfahrener Rechtsanwalt ist zunächst in der Lage, die für eine Gnadenentscheidung relevanten Umstände im Gnadengesuch darzulegen.

Darüber hinaus kann der Rechtsanwalt vor einer Entscheidung der Gnadenstelle Akteneinsicht nehmen. Es können hierdurch dann die verschiedenen von der Gnadenstelle eingeholten Stellungnahmen ausgewertet werden. Auf diese Stellungnahmen kann dann der Rechtsanwalt nochmals vortragen.

Dies ist insbesondere dann sinnvoll, wenn einer der Beteiligten, z. B. die Justizvollzugsanstalt, eine Begnadigung aufgrund unrichtiger Tatsachengrundlage nicht befürwortet. Der Betroffene selber kann keine Akteneinsicht nehmen und würde deshalb unter Umständen nie erfahren, warum ein Gnadengesuch keinen Erfolg hatte.

Mit Rechtsanwalt Dietrich können Sie unter den angegebenen Kontaktdaten einen Beratungstermin vereinbaren. Für diesen berechnet Rechtsanwalt Dietrich 230,00 €. In dem Erstberatungsgespräch wird Sie Rechtsanwalt Dietrich anhand Ihrer Angaben über den Gang und die Voraussetzungen des Gnadenverfahrens aufklären.